Franz Schnei - ein Maler des Expressiven Realismus

Der Kunsthistoriker Rainer Zimmermann hat in seinem Buch
"Die Kunst der verschollenen Generation - Deutsche Malerei des Expressiven Realismus von 1925 - 1975"
dankenswerterweise auf die künstlerische Leistung einer Generation von Künstlern hingewiesen, die i.d.R. - zu Unrecht - wenig bekannt geworden sind.

Zu dieser Generation muss auch der saarländische Künstler Franz Schnei gezählt werden.

Als Gründe für das Verschollensein nennt Zimmermann u.a. die Unterdrüchung während des Dritten Reiches, die Vernichtung vieler Arbeiten im Zweiten Weltkrieg, die einseitige Vorherrschaft der Ungegenständlichen Kunst nach 1945, sowie die Teilung Deutschlands.

"Diese Generation ist von der "Weltgeschichte" mehrfach überrollt worden. Dabei wurden Künstler, Werke und Zeugen verschüttet oder vernichtet. Es hat in Europa seit dem 30jährigen Krieg keine Phase gegeben, in der die Kunsttradition eines Landes so radikal unterbrochen wurde wie in Deutschland zwischen 1933 und heute."

Der Expressive Realismus soll allerdings nicht als Stil verstanden werden, sondern als eine künstlerische Grundhaltung. Dabei haben die Künstler der "Verschollenen Generation" einen ähnlichen Lebensweg und somit ein gemeinsames Schicksal, welches Zimmermann folgendermaßen beschreibt:

"Die Jahrgänge von 1890 bis 1905, aufgewachsen in der scheinbar gesicherten Ordnung des Wilhelminischen Reiches und der K.u.K.-Monarchie, berührt vom Schönheitskult des Jugendstils, stürzten als Jünglinge in das Inferno des Ersten Weltkrieges. Dieser Schock und die Entbehrungen der Nachkriegszeit prägten sie tief. Als sie am Ende der zwanziger Jahre bekannt zu werden begannen, wurden sie, zusammen mit den nur wenige Jahre älteren und schon berühmteren Expressionisten, während des Dritten Reiches verfemt und ihre Werke aus der Öffentlichkeit verbannt. Viele erhielten Ausstellungs- und Malverbot, emigrierten oder wichen in andere Berufe und versteckte Wohnsitze aus. Meist retteten sie nur das nackte Leben über den Zweiten Weltkrieg; in den Bombennächten und durch die Vertreibung ging oft der gesamte künstlerische Ertrag ihres Schaffens verloren. Nach 1945 gerieten sie von neuem ins Abseits des Kunstlebens. Von den Publizisten, Museumsleuten und Kunsthändlern von einst lebte kaum noch einer. Der "Nachholbedarf an Expressionismus" machte die früher schon bekannten Namen ihrer Vorgänger wieder bekannt und gleichzeitig wurden die jüngeren Jahrgänge auf Modewellen nach vorn getragen."

Wie in der Biografie ersichtlich, passt in dieses Schema auch das Schicksal bzw. der Lebensweg von Franz Schnei.

Dieser musste 1935 nach der "Saarabstimmung" seine Heimat, das damals sog. "Saargebiet", verlassen und nach Frankreich emigrieren, wo zunächst die Sicherung des Lebensunterhalts im Vordergrund stand.
Anfang September 1939 wurde er, wie alle Deutschen, von der französischen Regierung interniert, was diese als Sicherungsmaßnahme eines kriegsführenden Staates gegenüber feindlichen Ausländern verstand.
Nach der Niederlage der französischen Armee wurde er von der Vichy-Regierung als unerwünschter Ausländer der Gestapo ausgeliefert und war zwischen 1941 und 1945 im Konzentrationslager Sachsenhausen interniert.
In der Zeit der Emigration und der Haft waren -mit Ausnahme des künstlerisch sehr fruchtbaren Jahres 1940- die Möglichkeiten der Kunstproduktion sehr eingeschränkt. Ein Großteil des Frühwerks sowie Möbel, Arbeitsutensilien und die Fachbibliothek gingen während des Krieges in der Metzer Wohnung verloren oder wurden teilweise nach dem Krieg von der neuen französischen Regierung nicht zurückgegeben, mit der Begründung Schnei sei ja schließlich Deutscher.
Nach dem Krieg stand zunächst das reine Überleben und den Wiederaufbau eines Hausstandes im Vordergrund.
Das Amt des Bürgermeisters in Neunkirchen lehnte Schnei ab; eine zugesagte Professur an der Saarbrücker Kunstschule bekam er nicht wegen seiner politischen Orientierung.
Zudem war das nun wieder autonome Saarland eine künstlerische Diaspora, mit wenig Kontakt zu den Kunstzentren in Deutschland oder Frankreich.
Diese Einschränkungen durchbrach Schnei erst 1953 mit seiner Reise nach Vallauris.
Nachdem seine Arbeiten 1955 in Cannes bei der Exposition Internationale "Les Chefs-d´oeuvre de la céramique moderne" mit einer Goldmedaille ausgezeichnet worden waren, wurde er -inzwischen Mitte 50- zunehmend bekannt und seine Arbeiten zunehmend beachtet.
Durch die KZ-Haft gesundheitlich stark in Mitleidenschaft gezogen, war auch die Energie zur "Kunstproduktion" eingeschränkt.
Seine Hochzeit hatte Schnei zwischen den Jahren 1955 und 1965, in denen sich dann auch langsam ein bescheidener Wohlstand einstellte.
Aufgrund der Spätfolgen der KZ-Haft ist Schnei dann auch recht früh verstorben.

"Dabei hatte diese "verschollenen Generation" ihren Weg unter unglaublich günstigen Sternen angetreten. Sie konnte die vom Expressionismus errungenen Freiheiten in Farb- und Formgebung übernehmen und zugleich auf die koloristische Kultur des Impressionismus und das noch unausgeschöpfte Vermächtnis Cézannes zurückgreifen. Sie hielt alle Mittel in der Hand, um die schonungslos erfahrene Wirklichkeit gestaltend zu bewältigen. So kam es bei den Besten zu außerordentlichen Leistungen, die die gleichzeitigen Versuche der Neuen Sachlichkeit, des Surrealismus und die Fortsetzungen der Ungegenständlichen Malerei an schöpferischer Kraft und Zukunftsträchtigkeit übertreffen."

Wie bereits erwähnt, ist der Expressive Realismus kein Stil, sondern eine künstlerische Grundhaltung. Eine Haltung, die sich ihrer selbst erst bewußt geworden ist in der Ablehnung all jener Stilisierungsversuche, die seit der Zeit des Jugendstils die Erscheinungsformen der modernen Kunst beherrscht haben. Kunsthistorisch könnte diese Grundhaltung vielleicht beschrieben werden als die schöpferische Verbindung von van Goghs "Gefühlstranszendenz" mit Cézannes "heiliger Systemwut".

Oft werden die Künstler des Expressiven Realismus als "Einzelgänger" angesehen, da diese künstlerische Grundhaltung zu einer außerordentlichen Vielfalt der Ausdrucksmöglichkeiten geführt hat. Diese Betrachtungsweise ist allerdings nicht gerechtfertigt, sondern es handelt sich hierbei um eine Kunst, der zwar ein "expressiver Wirklichkeitsbegriff" zugrunde liegt, die aber eine Kehrtwendung gegen die expressionistische Kunstauffassung insgesamt darstellt.

Sowohl die in der impressionistischen Malerei errungenen koloristischen Erfahrungen als auch die in den expressionistischen und abstrakten Richtungen der Moderne gewonnenen formalen Erkenntnisse waren für die Maler des Expressiven Realismus eine unentwegte Herausforderung und Bereicherung.

Häufig werden Werke des Expressiven Realismus allerdings einem behauptetem "Spätimpressionismus" zugeordnet. Was den Expressiven Realismus aber als eine originäre, mit keiner vorausgegangenen Ausprägung des Realismus gleichzusetzende Kunstform kennzeichnet, ist aber gerade der Verzicht auf das rationale Gerüst der wissenschaftlichen Zentralperspektive.

Aus den vielfältigen Anregungen der koloristischen und formalen Experimente seit dem Impressionismus ergab sich eine Vielzahl schwer klassifizierbarer Kombinationen, bei denen das impressionistische Erbe mehr die malerische Substanz, die "Stilrichtungen" der Moderne mehr die formale und kompositorische Seite beeinflußt haben.

Diese Kunst war somit nicht nur die Wiederholung vergangener Stile; sie war neu, sie war in einer schwer zu beschreibenden Weise "aktuell" bis ins Inhaltliche hinein, und sie war formal "modern", wenn man das Wort in jenem strengeren Sinne von "Kunst nach dem Ende der wissenschaftlichen Zentralperspektive" versteht, das mit dem Werk Cézannes markiert wird.

Ginge es nicht um die Reflektierung auch des kunsthistorischen Zeitpunktes, ließe sich der Expressive Realismus auch als "malerischer Realismus" beschreiben. Denn die in den frühen zwanziger Jahren einsetzende realistische Erneuerungsbewegung auf dem Gebiet der Malerei wandte sich gegen alle Stilisierungsrichtungen einschließlich des Expressionismus unter der ausdrücklichen Berufung auf eine ganz aus der Farbe zu entwicklenden "malerischen Malerei".

"Für den Maler sind nur die Farben wahr", dieses Wort Cézannes gibt eine Überzeugung der Expressiven Realisten wieder. Aus Farben, und nicht aus der konstruierenden Perspektive, ist die Illusion des Raumes als Sinnbild der Einheit alles Existierenden herzustellen, aus Farben, und nicht aus den gezeichneten Umrissen, sind die Gegenstände im Bild zu erschaffen.

Wenn es so etwas wie ein "Programm" dieser nachexpressionistischen Generationsgruppe gibt, dann ist es dieses Bekenntnis zur Allmacht der Farbe.