Der nachfolgende Aufsatz "Zum Werk von Franz Schnei" ist anläßlich der Franz-Schnei-Gedächtnisausstellung vom 30. September - 30. Oktober 1994 im Museum im Bürgerhaus Neunkirchen entstanden und stammt von der Museumleiterin und Kunsthistorikerin Nicole Nix.


Zum Werk von Franz Schnei


Die Einflüsse der persönlichen Biographie eines Künstlers auf die inhaltliche und stilistische Entwicklung seines Werks aufzuzeigen, Analogien transparent zu machen, gehört zu den gängigen, ja vielfach unverzichtbaren Mitteln der retrospektiven Werkuntersuchung. Im Falle des saarländischen Künstlers Franz Schnei jedoch werden derartige Interpretationsmodelle, obwohl gerade hier vermeintlich naheliegend, kaum zu verwertbaren Ergebnissen führen. Auffallend unberührt scheint seine Kunst in all den schicksalhaften Jahren vom persönlich Durchlebtem und von den politischen Zeitumständen geblieben zu sein.

Weder die Erlebnisse der Emigration noch die der Internierung haben unmittelbar Eingang in seine Bilder gefunden. Wenn Helmut Lißmann in diesem Zusammenhang von einer "Art Gegenwelt" spricht, die sich Schnei zum "unerträglichen Hier und Heute" geschaffen habe, so wird dies geradezu exemplarisch belegt durch das 1943 datierte Aquarell "Vorfrühling in Fürstenwalde", das während Schneis Haft im Konzentrationslager Sachsenhausen entstanden ist. Friedlich, fast schon idyllisch mutet die noch schneebedeckte dörfliche Szenerie unter tiefblauem Himmel an, die nichts von den Bedrängnissen dieser Zeit erahnen lassen.

Treten auch die persönlichen Lebensumstände in seinen Bildern fast völlig zurück, so haben doch prägende künstlerische Einflüsse die Entwicklung seines Werks nachhaltig bestimmt. Die entscheidende Zäsur im bis dahin weitgehend der Tradition der frühen Moderne verpflichteten Werk von Franz Schnei bringt die Begegnung mit Picasso und der anschließende Aufenthalt im legendären Töpferort Vallauris Anfang der fünfziger Jahre. Weitaus unspektakulärer vollzogen sich die vergleichsweise eher kleinen Entwicklungsschritte in den Arbeiten der vorangegangenen Jahrzehnte.

Vom Frühwerk Schneis ist der Nachwelt nur sehr wenig erhalten geblieben. Bilder aus den zwanziger Jahren können heute kaum mehr belegt werden, die ältesten im Katalog und der Ausstellung dokumentierten Arbeiten datieren aus dem Jahre 1932. Ein Vergleich dieser frühen Neunkircher Stadt- und Landschaftsimpressionen mit den acht Jahre später in Algerien und Chamblet entstandenen Aquarellen macht Unterschiede deutlich, die nicht allein auf die völlig verschiedenen örtlichen Bedingungen zurückzuführen sind, sondern auch auf eine geänderte Bildauffassung hinweisen.

Die der Malerei des Späimpressionismus verwandte Farbgestaltung, die in den frühen Arbeiten noch recht unentschlossen ist und darum stets der stabilisierenden Linie bedarf, wird in den Bildern von 1940 zunehmend leuchtender und selbständiger. In ihrem festen, bei aller Tranzparenz der Töne nun fast vollständig aus der Farbe heraus entwickelten Bildaufbau und ihrer entschieden organisierten Tiefenschichtung lassen insbesondere die Algerien-Bilder die Auseinandersetzung mit Cézanne erkennen.

Während das Landschaftsbild in allen wichtigen Schaffensperioden Schneis durchgängig gut repräsentiert ist, finden sich aus den dreißiger und vierziger Jahren nur verhältnismäßig wenige Beispiele anderer Gattungen. Auffallend dabei sind jedoch die 1934/35 zu beobachtenden Übereinstimmungen in der Gestaltungsweise von Stilleben und Figurenbild. Wie die Stilleben werden auch die weiblichen Aktdarstellungen aus jener Zeit von einem dominierenden Dreiklang aus farbig gebrochenem Weiß, Rost- oder Rosabraun und Blau bestimmt. Betonte Hell-Dunkel-Kontraste unterstützen die Bildgliederung wie auch die überaus plastische Modellierung der Formen. Während vereinzelte Stillebenmotive, wie etwa die Zeitschrift mit der Aufschrift "Cahiers d´art", dem Bildrepertoire des Kubismus entstammen, ist die nackte Frauengestalt im Bild "Die Quelle" ganz an klassizistischen Formvorstellungen orientiert. In beiden Fällen kündigt sich somit unterschwellig bereits Schneis Affinität zu Picasso an, die auch in der Bildfigur des 1938 begonnenen und 1966 überarbeiteten "Harlekin" zum Ausdruck kommt.

Vereinzelt lassen sich in den Werken der vierziger Jahre auch Einflüsse des Fauvismus nachweisen. Der allmähliche Übergang zu einer flächigen Malweise mit starkfarbigen Akzenten bereitet die späteren Bilder vor, in denen der Maler ganz offensichtlich auf Gestaltungselemente von Matisse zurückgreift.

Als Schnei 1953 nach Vallauris geht, nimmt der Wunsch, zur neuen Gestaltung vorzudringen, konkrete Form an. Die Hinwendung zur Keramik und die Nähe zu Picasso eröffnen ihm nicht nur ein neues kunsthandwerkliches Betätigungsfeld, sondern verändern auch seine Bildkunst in eklatanter Weise.

Die keramischen Gefäße, die Schnei schon immer als bevorzugte Bildgegenstände seiner Stilleben gedient haben, werden nun selbst zum Darstellungsträger. Auf den unzähligen Vasen, Krügen, Tellern, Schalen und Kacheln, die im Verlauf der folgenden Jahre entstehen, vereint Schnei bewußt einfach gehaltene, dekorative Linienmuster mit mediterranen und antiken Motiven, die an der Ikonographie seines künstlerischen Vorbildes orientiert sind. Fische, Meerestiere, gehörnte Faune, Flötenspieler und immer wieder stilisierte Frauenköpfe zieren Schneis Keramiken und finden über sie auch Eingang in sein malerisches und grafisches Werk.

Mit der durch die Arbeit in Vallauris bedingten Erweiterung der Bildmotive geht eine grundlegende stilistische Wandlung einher. In den um die Mitte der fünfziger Jahre datierten Stilleben, die sich durch ihre heitere, südländisch inspirierte Leichtigkeit auszeichnen, ist die ehemals erstrebte Plastizität einer betonten Flächigkeit gewichen. Die teilweise nur noch durch ihre Umrißlinien bezeichneten Bildgegenstände gehen eine Verbindung mit dem farbigen Hintergrund ein, wie etwa im "Stilleben mit Faun", wo sich neben Apfel- und Birnenform dem Kopf des Fabelwesens noch ein zweites Picasso-Motiv hinzugesellt: die in kindlicher Manier gezeichnete Sonne. Was sich in vielen Darstellungen als äußerst wohltuend erweist, nämlich die Befreiung des Stillebens vom sinnträchtigen Arrangement und der fast spielerische Umgang mit den Bildgegenständen, läuft jedoch, wie das erwähnte Beispiel zeigt, nur allzu leicht Gefahr, sich in der willkürlichen Aneignung erprobten Bildvokabulars zu erschöpfen.

Das Bemühen um den neuen Stil kennzeichnet insbesondere die zu dieser Zeit gehäuft auftretende Darstellung von Frauenköpfen. Allen gemeinsam ist die Stilisierung des Gesichts zu einem linearen Gebilde mit langem, kräftigen Hals, steilem, geraden Nasenrücken und großflächigen Gesichtspartien. Auch hier umgeht Schnei oft nur haarscharf die Grenze zum Formalismus.

Die reduzierende Vereinfachung der Formensprache, die in den Keramiken ihre dekorative Wirkung voll entfaltet, überträgt Schnei also auch auf seine Bilder, vornehmlich auf die Monotypie. Ob ihm die damit verbundene Problematik bewußt war, ist ungewiß. Interessanterweise entstehen aber in denselben und den nachfolgenden Jahren auch eine Reihe von Arbeiten, die eine völlig andere, ja konträre stilistische Auffassung erkennen lassen.

Mehrere Halbfigurenbilder, darunter auch ein Selbstporträt von 1959, zeigen eine stark am analytischen Kubismus orientierte Gestaltungsweise. Der oben erwähnten zusammenfassenden Großflächigkeit steht nun die kleinteilige Zerlegung der Form gegenüber. Figur und Bildraum sind in zahllose kantige Flächensegmente zergliedert, die hart gegeneinander abgesetzt sind. Dabei verbindet sich die Figur mit dem Hintergrund oftmals zu einem abstrakten farbigen Flächenmuster, was, wie im Selbstporträt, dazu führen kann, daß sie sich kaum noch aus ihrer Umgebung herauskristallisieren läßt.

Darüber, was Franz Schnei dazu bewogen hat, sich gerade in dieser Zeit noch einmal verstärkt mit dem Kubismus auseinanderzusetzen, kann nur spekuliert werden. War es allein der Einfluß Picassos, dessen kubistische Werkphase ja schon Jahrzehnte zurücklag, oder diente es vielleicht eher der eigenen Selbstvergewisserung im Formalen? Beides, so ist zu vermuten, mag hierbei eine Rolle gespielt haben.

Festzustellen bleibt jedoch, daß in Schneis malerischem und grafischem Werk seit der ersten Vallauriser Zeit immer wieder deutliche Anlehnungen an Picasso zu finden sind. Darüber hinaus wird die Neigung zum Dekorativen sichtbar, wie etwa in dem Bild "Mädchen mit Buch" aus dem Jahre 1963, das mit seinem starkfarbigen Kolorit exemplarisch für zahlreiche Arbeiten steht. Die Figur, bei der Schnei die anatomische Korrektheit bewußt vermieden hat, ist eingespannt in ein Netz von strahlenförmig angeordneten Linien. Strich-, Punkt- oder Sternmuster dienen der dekorativen Flächenfüllung, die an die Gestaltungsweise von Henri Matisse denken läßt.

Die vielfältigen Anregungen und Einflüsse, die Franz Schnei im Laufe seines Künstlerdaseins immer wieder aufgenommen und im eigenen Werk verarbeitet hat, erweisen sich vor allem für die reifen Landschaftsdarstellungen als äußerst fruchtbar. Stellvertretend seien hier die 1963 datierten Bilder von Vallauris genannt. Der fest gebauten und zugleich rhythmisch gegliederten Bildkomposition liegt eine straffe Flächenaufteilung zugrunde, wobei die konturierten Farbflächen so organisiert sind, daß der Eindruck gestaffelter Tiefenräumlichkeit zustande kommt. Linie und Farbe ergänzen einander und werden als gleichberechtigte Bildmittel eingesetzt. Die Lokalfarben behaupten ihren Eigenwert und fügen sich doch harmonisch in das von kräftigen Grün- und Blautönen beherrschte Gesamtkolorit ein. Franz Schnei hat hiermit ein konzentriertes Resümee seiner künstlerischen Entwicklung hinterlassen.